4. Dezember

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Fortschrittsbericht des Bürgerkonvents 13

Unter Leo Klinkers

Dezember 4, 2021


Änderung von Artikel III der Verfassung

Sehr geehrte Mitglieder der Gruppe 55+ des Bürgerkonvents der FAEF, 

Der Aufbau einer Föderation ist hauptsächlich eine Frage der Struktur und der Verfahren. Es geht nicht um inhaltliche Politik. Es gibt keine föderalistische Politik, zum Beispiel im Sinne einer föderalistischen Agrarpolitik. Es gibt jedoch die Politik der Föderation. Deren Inhalt wird aber nicht durch die Tatsache bestimmt, dass sie eine föderale Organisationsform hat, sondern durch die politischen Ansichten und Entscheidungen der Mitglieder der Bürgerkammer und der Länder sowie der Bundesexekutive. Die Föderation selbst hat keine politische Farbe. Er ist nicht links, er ist nicht rechts, er ist weder progressiv noch konservativ. Sie ist ein sicheres Haus für alle europäischen Bürger, unabhängig von ihrer politischen, sozialen oder religiösen Überzeugung. Eine Struktur mit Verfahren, die so weit wie möglich auf die Wahrung gemeinsamer europäischer Interessen ausgerichtet sind, d.h. auf Interessen, die die einzelnen Mitgliedstaaten nicht mehr allein vertreten können. Und diese gemeinsamen europäischen Interessen sind eine der wenigen Stellen in der Bundesverfassung, wo Verfahren mit Inhalten verknüpft sind. 

Darum geht es in diesem Fortschrittsbericht 13.

Dieser Bericht dient der Vorbereitung auf die Verbesserung der Artikel III - Befugnisse der Legislative. Artikel II wird im Laufe dieser Woche mit einer abschließenden Diskussion über einige Fragen, die im Diskussionsforum noch nicht abschließend geklärt wurden, abgeschlossen werden. In der Zwischenzeit bereitet der FAEF-Vorstand das Konzept für Artikel III vor, das die Gruppe 55+ vom 4. bis 25. Dezember verbessern wird.

Im Fortschrittsbericht 12 wurde die Aufmerksamkeit auf drei wichtige Themen gelenkt. 

  1. Spezifizierung der Liste der gemeinsamen europäischen Interessen (Artikel III, Abschnitt 2).
  2. Vorschriften zur Korruptionsbekämpfung (Artikel III, Abschnitt 5).
  3. Die Frage der Lage der Union (Artikel V, Abschnitt 2, Satz 1).

Punkt 1 bedarf der besonderen Aufmerksamkeit der Fraktion 55+, weil die Verbesserung von Abschnitt 2 einerseits den föderalen Charakter unseres Verfassungsentwurfs deutlich stärkt und andererseits den souveränen Charakter des Kompetenzkomplexes der Mitgliedstaaten garantiert. 
In Punkt 2 geht es um sehr strenge Antikorruptionsbestimmungen, die verhindern sollen, dass Geld die Wahlen beeinflusst. Der Ausschuss geht davon aus, dass Punkt 2 zum jetzigen Zeitpunkt keiner Einführung bedarf. 
Punkt 3 kann warten, bis wir uns mit Artikel V befassen.

  1. Verbesserung der Liste der gemeinsamen europäischen Interessen (Artikel III, Abschnitt 2)

1.1 Die schwierige Aufgabe, die bestmöglichen gemeinsamen europäischen Interessen zu formulieren

Versteht man die Präambel als Seele der Verfassung, so ist Abschnitt 2 des Artikels III ihr Herzstück. Eine Bundesverfassung enthält weitgehend Verfahrensrecht, um den Komplex der eigenständigen Befugnisse des Bundes (der für das Ganze wirkt) vom Komplex der hoheitlichen Befugnisse der Gliedstaaten (die für ihren eigenen Staat wirken) abzugrenzen. Artikel III vermischt verfahrensrechtliche Bestimmungen mit materiellen Fragen und der Art und Weise, wie diese teils vom Bund, teils von den Gliedstaaten zu behandeln sind. 

Dies erfordert eine Rückbesinnung auf den Abschnitt über Werte und Interessen in den Allgemeinen Bemerkungen der Präambelerläuterung. In der Präambel einer Bundesverfassung geht es um Werte. Die Werte - explizit in der Präambel formuliert - sind die Ziele, die durch den Einsatz der Artikel I bis X erreicht werden sollen. Diese Artikel enthalten die Normen - sprich Mittel -, mit denen die Werte - sprich Ziele - verwirklicht werden müssen. Die Zusammensetzung einer Verfassung ist also ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Werten und Normen oder - anders ausgedrückt - zwischen Zielen und Mitteln. 

Interessen hingegen - besser die gemeinsamen europäischen Interessen Europas, die von der Bundesbehörde wahrgenommen werden sollen - sind Teil der Normen und fallen somit unter die zehn Artikel der Verfassung, nicht unter die Präambel. Darüber hinaus sind die gemeinsamen Interessen Teil einer zweiten Zweck-Mittel-Beziehung. Sie werden durch eine so genannte vertikale Gewaltenteilung/Zuständigkeitsverteilung wahrgenommen und gesichert[1] zwischen der föderalen Körperschaft und denen der Mitgliedsstaaten. Und hier kommt Abschnitt 2 von Artikel III ins Spiel. Beachten Sie, dass die vertikale Gewaltenteilung zu einer geteilten Souveränität der föderalen Einrichtung und der Mitgliedstaaten führt. Nicht zu geteilten Zuständigkeiten, die zu Konflikten führen, wie im Vertrag von Lissabon.

Es ist zu beachten, dass beide Beziehungen zwischen Zweck und Mittel Teil des ausgeklügelten Systems der gegenseitigen Kontrolle sind und dass darauf geachtet werden muss, dass die Ziele klar sind, dass die Mittel klar sind und dass die Mittel die Ziele tatsächlich erreichen können. Ein einfaches Diagramm zeigt die Beziehungen:

1.2 Die begrenzte und erschöpfende Liste der gemeinsamen europäischen Interessen

Es ist ein unauflöslicher Standard der föderalen Staatskunst, dass die Befugnisse der föderalen Körperschaft begrenzt und erschöpfend sind. Der gegenwärtige Text von Abschnitt 2 des Artikels III ist in dieser Hinsicht nicht gut genug. Er formuliert lediglich, was die Bundesregierung, beide Kammern des Europäischen Kongresses, tun darf. Das macht aber nicht deutlich, was genau die begrenzenden und erschöpfenden gemeinsamen europäischen Interessen sind. 

Daher legt der FAEF-Vorstand der Gruppe 55+ die folgende - vorläufige - Liste von sieben gemeinsamen Interessen vor. Danach geht es in 1.3 um die Art und Weise, wie die Vertretung dieser Gemeinsamen Europäischen Interessen - teils durch das Bundesgremium, teils durch die Mitgliedstaaten selbst - am besten gestaltet werden könnte. 

Die Sätze mit a), b) c) .... geben vorläufig die Themen an, die in die vertikale Kompetenzverteilung aufgenommen werden sollen: Welche Kompetenzen übertragen die Mitgliedsstaaten dem föderalen Organ und welche behalten sie selbst? Sie dienen als Anregung für die in 1.3 erläuterten Diskussionen und Verhandlungen.

1. Die innere und äußere Sicherheit der Föderation
a) eine gemeinsame Verteidigungskraft für die Föderation; nationale Wachen für die Mitgliedsstaaten
b) eine föderale Polizei, aber auch die Mitgliedstaaten haben ihre eigenen Polizeikräfte
c) einen föderalen Nachrichtendienst, aber auch die Mitgliedstaaten haben ihre eigenen Nachrichtendienste.

2. Die finanzielle Stabilität der Föderation
a) Aufsicht über das gesamte System der Finanzinstitute (dies ist Gegenstand der eingehenden Studie von Moses Marinho Sanches 
b) Einführung einer Fiskalunion, siehe Toolkit Abschnitt 3.8
c) eine föderale Besteuerung bei gleichzeitiger Senkung der Steuern in den Mitgliedstaaten 
d) Begleitendes Organ: der Europäische Rechnungshof,

3. Die Lebensqualität der Föderation 
a) Klimakontrolle, Umsetzung der Klimavereinbarungen 
b) soziale Sicherheit, Grundeinkommen, Obdachlose, Landstreicher, Ausgestoßene, Staatenlose, Einwanderer
c) Gesundheit, Pandemiepolitik, transnationale Krankenhäuser 
d) Gerechtigkeit
e) Begleitende Institutionen: Der Europäische Gerichtshof, die Bundesgerichte und der Europäische Bürgerbeauftragte.

4. Die Wirtschaft der Föderation
a) Freizügigkeit, Binnenmarkt
b) Transnationale Produktionssektoren: Industrie, Landwirtschaft, Viehzucht, Forstwirtschaft, Gartenbau, Fischerei, IT, reine wissenschaftliche Forschung, Erfindungen 
c) grenzüberschreitender Verkehr, Straße, Wasser (Binnen- und Seeverkehr), Schiene, Luft, Raum
d) Energieversorgung.

5. Die Wissenschaft und Bildung der Föderation
a) wissenschaftliche Exzellenzzentren
b) grenzüberschreitende Angleichung der Pionierforschung und der entsprechenden Ausbildung.

6. Die sozialen und kulturellen Bindungen der Föderation
a) Stärkung der Einheit in der Vielfalt. Das Neue erwerben und das Alte bewahren 
b) alle Künste und Sportarten auf eine föderale Grundlage zu stellen.

7. Die auswärtigen Angelegenheiten der Föderation
a) eine auf die externe Zusammenarbeit ausgerichtete Politik zur Stärkung der anderen Punkte
b) die Mitgliedsstaaten haben ihre eigene Außenpolitik sowie Botschaften für nationale Interessen.

1.3 Die schwierige Aufgabe, die bestmögliche vertikale Trennung von Befugnissen/Kompetenzen zu formulieren
Der guten Ordnung halber werden wir zunächst die folgenden Ankerpunkte festlegen.

Erstens. Wenn die Verfassung von genügend Bürgern ratifiziert wird, um die Föderation zu gründen 

die gemeinsamen europäischen Interessen werden festgelegt. Siehe Grundsatz 2 unten. Das bedeutet: Die Bürger haben gesprochen; diese Liste ist nicht verhandelbar während der Debatte, die notwendig ist, um zu bestimmen, welche Aspekte dieser sieben gemeinsamen europäischen Interessen der Obhut der föderalen Einrichtung anvertraut werden sollen und welche Aspekte in der souveränen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verbleiben. Die Zukunft wird zeigen, wann und warum diese Liste durch eine Verfassungsänderung geändert werden sollte.

Zweitens. Die vertikale Gewaltenteilung ist gleichbedeutend mit der Herstellung der Subsidiarität. Mit anderen Worten: Nirgendwo in einer gut konzipierten Bundesverfassung findet sich ein Satz, der auf das Subsidiaritätsprinzip verweist, und zwar aus dem einfachen Grund, dass die Begriffe "Bundesverfassung" und "Subsidiarität" zusammenfallen.  

Drittens. Die vertikale Gewaltenteilung führt zu einer geteilten Souveränität des Bundesorgans und der Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten behalten ihre Souveränität in dem Sinne, dass sie nicht Teile ihrer Souveränität an das föderale Organ abtreten und damit diese Souveränität verlieren würden. Was sie tun, ist, einen Teil ihrer Befugnisse an das Bundesorgan zu übertragen, weil dieses Organ die gemeinsamen europäischen Interessen besser wahrnehmen kann als die Mitgliedstaaten selbst. Auf diese Weise lassen die Mitgliedstaaten ihre entsprechenden Befugnisse ruhen. Der Effekt ist geteilte Souveränität. 

Viertens. Die vertikale Gewaltenteilung wird immer wieder Gegenstand von Diskussionen sein und manchmal Anpassungen erfordern. Deshalb schlagen wir vor, dass das Ergebnis der Diskussionen und Verhandlungen über die vertikale Gewaltenteilung ein Anhang zur Verfassung sein sollte. Nicht als fester Bestandteil der Verfassung selbst, um zu verhindern, dass notwendige Anpassungen der vertikalen Gewaltenteilung zu einer Änderung der Verfassung selbst führen. 

Ausgehend von einigen Grundsätzen legt der FAEF-Vorstand das folgende Verfahren zur Bestimmung der vertikalen Gewaltenteilung fest.

Grundsatz 1 - von unten nach oben
Der größte Fehler, den man machen kann, ist, die Kompetenzverteilung von oben nach unten anzuordnen. Wo immer möglich, sollte man beim Aufbau eines Bundesstaates immer von unten nach oben arbeiten. 

Dies setzt voraus, dass die Mitgliedstaaten gefragt werden, welche Teile ihres Kompetenzkomplexes sie ruhen lassen wollen, damit die föderale Einrichtung darüber verfügen kann, um sich um die sieben gemeinsamen europäischen Interessen zu kümmern. 

Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in Begriffen der Dezentralisierung denken. Dies geschieht in föderalen Staaten, die zentralistisch aufgebaut sind: ein Zentrum schafft Teile. Ein Beispiel dafür ist Belgien: Das Zentrum des dezentralisierten Einheitsstaates dezentralisierte von oben nach unten so sehr, dass es mehrere souveräne Regionen (Wallonien und Flandern) schuf. Die Folge eines solchen Vorgehens ist jedoch, dass es immer einheitliche/zentralistische Aspekte geben wird. Wenn Länder wie Spanien oder das Vereinigte Königreich beschließen würden, ihre bereits bestehenden dezentralisierten autonomen Regionen weiter zu dezentralisieren und in Teile eines Bundesstaates umzuwandeln, liefen sie Gefahr, auch dort einen relativ unvollkommenen Bundesstaat zu schaffen. Unsere Verfassung basiert auf der klassischen Methode der Föderalisierung, einer zentripetalen Konstruktion: Von unten nach oben bilden die Teile zusammen ein Zentrum. 

Grundsatz 2 - Debatte und Verhandlung im gemeinsamen europäischen Interesse

Wenn die Wähler von mindestens drei EU- oder Nicht-EU-Mitgliedstaaten die Verfassung mehrheitlich ratifizieren und ihre Parlamente dem Willen ihrer Bürger folgen, beginnen die Debatte und die Verhandlungen über die Befugnisse, die die Mitgliedstaaten der Föderation übertragen. Dieser Prozess läuft folgendermaßen ab:

a) Interne Beratungen der einzelnen Mitgliedstaaten

Jeder Mitgliedstaat hat zwei Monate Zeit, um ein Dokument auszuarbeiten, in dem er Vorschläge zu den Befugnissen unterbreitet, die er der föderalen Einrichtung übertragen möchte. Insgesamt verfassen sie sieben Dokumente, eines für jedes gemeinsame europäische Interesse. Darin geben sie einen Einblick in die Art und Weise, wie die föderale Einrichtung ihrer Meinung nach mit materiellen Befugnissen und Ressourcen ausgestattet werden sollte. Ein Protokoll legt die Anforderungen fest, die die Dokumente erfüllen müssen, um berücksichtigt zu werden. Die zentrale Anforderung besteht darin, dass sie sich mit der Vertretung europäischer Interessen befassen müssen, die ein Mitgliedsstaat selbst nicht (mehr) optimal vertreten kann.  

b) Aggregation der Dokumente

Unter der Leitung der FAEF wird im Vorfeld ein Ausschuss eingesetzt, der den Übergang vom vertraglichen zum föderalen System regelt. Unter der Leitung der FAEF besteht dieser Ausschuss aus (a) nicht-politischen Experten der sieben gemeinsamen europäischen Interessen und (b) nicht-politischen Bürgern. Punkt (a) ist für den Sachverstand erforderlich. Punkt (b) ist erforderlich, um zu verhindern, dass die Beratung und Beschlussfassung über die vertikale Gewaltenteilung - wie es seit 1951 der Fall ist - in nationalstaatliche Lobbyarbeit ausartet. Der Ausschuss aggregiert die sieben Dokumente jedes Mitgliedstaates zu einer Gesamtsumme der vertikal zu trennenden Kompetenzen und der inhaltlichen und materiellen Konsequenzen. Hierfür stehen zwei Monate zur Verfügung. 

c) Endgültige Entscheidungsfindung

Das zusammengefasste Dokument ist die Tagesordnung für eine siebenwöchige Beratung. Eine Woche für jedes gemeinsame europäische Interesse. Unter der Leitung des Ausschusses werden endgültige Entscheidungen über die am besten ausgewogene Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten und der föderalen Einrichtung getroffen. Dieses endgültige Dokument wird einen Anhang zur Verfassung bilden.

d) Der Beginn des Aufbaus des föderalen Europas

Das Ergebnis von c) markiert den Beginn des Aufbaus des föderalen Europas.

1.4 Schlussfolgerung

Der FAEF-Vorstand legt diesen Fortschrittsbericht 13 der Gruppe 55+ vor und erwartet, dass die Verbesserungen an diesem Vorschlag im Diskussionsforum erörtert werden.

Im Namen des Verwaltungsrats, 
Leo Klinkers
Präsident


[1] Ein gutes Verständnis der vertikalen Gewaltenteilung findet sich in den Abschnitten 2.14, 3.4, 4.2.5, 4.2.8, 4.4.1, 5.2, 5.3.2, 5.4, 6.15 des bereits erwähnten Toolkit: https://www.faef.eu/wp-content/uploads/Constitutional-Toolkit.pdf.

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